Heute hatte ich mir vorgenommen, das kreative Chaos auf
meinem Schreibtisch zu beseitigen, das sich - ich weiß auch nicht wieso - immer
wieder von Zeit zu Zeit bildet. Zunächst ließ ich meinen Blick schweifen: Die
Lupe gehörte eigentlich in die Schublade, das war nur ein Handgriff, also gedacht,
getan. Auch der Tesa-Abroller, der rechts auf einem Stapel beschriebenem Papier
stand, war schnell wieder an seinem Platz, ebenso solche Kleinigkeiten, die gar
nichts mit meinen üblichen Schreibwerkzeugen zu tun hatten, wie z.B. mein
Maßstab oder die Türhaken, die ich für mein Regal zweckentfremden wollte. Schon
bald konnte ich mich den Stapeln mit beschriebenem Papier zuwenden, die einen
Großteil meiner Schreibtischfläche in Anspruch nahmen und massenweise Notizen
zu Band 4 meiner Antiquerra-Saga enthielten, an der ich gerade arbeite. Das
würde schwierig werden, denn vermutlich brauchte ich davon noch jedes notierte Wort. Ich hatte gerade die Stapel zusammengeschoben, um danach Blatt für Blatt die
Notizen durchzulesen, da hörte ich, wie jemand in mein Büro trat. Zu meiner
Überraschung war es Antonia, die Protagonistin meines Krimis: "Ein tödliches Geheimnis".
Antonias Blick flog über meinen Schreibtisch, der zwar
bereits ein wenig übersichtlicher aber noch ganz und gar nicht aufgeräumt
wirkte.
Sie grinste. "Soll ich dir meine Schwester vorbeischicken? Die
hilft dir sicher gern."
Ich wusste natürlich, dass Antonias Schwester Leni mit
Staublappen und Putztuch umgehen konnte, schließlich war ich die Autorin des
Krimis. Aber aus demselben Grund wusste ich auch, dass sie hölzerne Engel in Spüliwasser badete, was würde sie da erst mit meinem
Holz-Schreibtisch anstellen?
Entsetzt wehrte ich daher ab. "Danke, das
schaff ich schon selbst!" Um von meinem Arbeitsplatz abzulenken, drehte
ich mich mit meinen Drehstuhl herum und wandte mich Antonia zu. "Läuft
es gut bei dir?"
Antonia strich sich betont beiläufig mit den Fingern durch
ihre kastanienbraune Haarpracht. "Ich hab einen Hund gesucht, der
verschwunden war."
"Und?", fragte ich, obwohl ich die Antwort schon
kannte.
Antonia atmete heftig aus und wurde lebhaft. "Stell dir
vor! Bei meiner Suche hab ich eine Leiche entdeckt! Natürlich hab ich gleich unseren
Kriminalkommissar Schmidt gerufen, aber der ist mit der Lösung des Falls bestimmt
überfordert." Sie reckte das Kinn. "Jetzt kann ich ihm beweisen, was ich als Kartenlegerin drauf habe. Mit
meinen Karten werde ich den Mörder nämlich garantiert finden!" Antonia schnaufte auf, trat neben
mich und deutete auf meinen Schreibtisch, wo neben dem Stapel beschriebener
Blätter noch die durcheinandergerutschten Lenormandkarten lagen. "Wie ich sehe,
legst du auch Karten."
"Ja", sagte ich schlicht und verkniff es mir,
darauf hinzuweisen, dass Antonias Kartenlege-Fähigkeiten von mir, ihrer
Autorin, stammten und ich daher sehr wohl Kartenlegen können musste.
"Wie steht es mit Astrologie?", fragte Antonia
neugierig.
"Kann ich natürlich auch."
Auf Antonias Gesicht lag ein zufriedener Ausdruck.
"Toll! Dann sind wir ja Kolleginnen. Wir müssen uns unbedingt mal
austauschen." Sie wurde resolut. "Aber erst muss ich den Mord
aufklären!" Ich nickte und Antonia sah auf ihre Armbanduhr. "Huch ...
so spät schon ... meine Schwester reißt mir den Kopf ab, wenn ich nicht
pünktlich zu Hause bin. Seit sie weiß, dass ich mit meinen Karten einen Mörder
finden will, hat sie nämlich Angst, dass ich mich in Gefahr bringe ..."
Antonia hob die Schultern und grinste. "So ist Leni halt. Also - ich muss
jetzt los."
Ich wusste zwar, dass Lenis Angst nicht unbegründet war,
aber weil ich auch Antonia gut kannte, verbot ich es mir, etwas dazu zu sagen. Ich hielt nur ihre Hand einen Augenblick lang fest, als sie sich von mir verabschiedete. "Pass auf dich auf, Antonia!"
"Klar, und noch viel Spaß beim Aufräumen ...", hörte ich sie noch sagen und im nächsten
Augenblick war sie schon zur Tür hinaus.
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