Dämonen kommen lautlos ...
Er kam lautlos. Ich bemerkte nur schwache, nebelartige Schatten
in meinem Zimmer, und dachte zuerst, dass es an meinen Augen lag, weil ich
schon seit Stunden vor dem PC saß. Aber als ich mich mit meinem Drehstuhl hin-
und her bewegte, um ein wenig zu entspannen, sah ich plötzlich im spiegelnden
Glas meiner Balkontür, dass hinter mir ein Mann stand. Vor Schreck drehte mich
samt Stuhl schwungvoll zu ihm herum. Ich schaute ihm ins Gesicht und entdeckte
auf seiner Stirn die Andeutung von zwei winzigen Hörnern.
Du lieber Himmel!
Das war eindeutig einer der Dämonen aus
Band 5 meiner Antiquerra-Saga. Er war
ganz in schwarz gekleidet und trug auf dem Rücken ein dunkel glänzendes Schwert.
„Schleich dich nie wieder so an mich heran!“ Ich presste eine Hand auf die Brust, um meinen Herzschlag zu beruhigen, den ich
bis in den Hals hinein spürte. Dann fiel mir ein, dass man einen Dämon
vielleicht besser nicht so anschreien sollte. Ich atmete heftig aus, wies auf
den Besucherstuhl, der neben meinem Schreibtisch an dem kleinen runden Tisch
stand. „Setz dich!“
Nein, meine Stimme hatte ich noch nicht ganz unter Kontrolle
und er merkte es.
Der Dämon grinste. „Schon seltsam, dass die Leute immer
erschrecken, wenn sie mich sehen …“
„Vielleicht liegt es ja daran, dass du dich heimlich von
hinten anschleichst!“
Ich sah ihm zu, wie er sein Schwert zog, es neben sich an
die Wand lehnte und sich setzte. Dann holte ich eine Flasche Wasser sowie ein Glas
für ihn. Während ich einschenkte, schaute ich ihn unauffällig an. Irgendwie
erinnerte er mich vom Aussehen her ein wenig an Alice Cooper.
Natürlich kannte
ich den Dämon, aber nicht gut. Ich wusste nur, dass er ein Wächter war, obwohl
ich erst kürzlich in „
Band 5 der Antiquerra-Saga: Lichtkrieger“ über ihn
geschrieben hatte, Er nahm in dem Buch lediglich eine anonyme Statistenrolle
ein, deshalb wunderte es mich auch, dass er jetzt zu mir kam.
„Vielleicht“, nahm er den Gesprächsfaden auf, „aber ich könnte
mir eher vorstellen, dass viele deshalb erschrecken, weil sie ahnen, dass sie
mir nicht entkommen können.“
„Hm …“ Ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte. „Und
was willst du von mir, …?“ Herrje, ich kannte nicht einmal seinen Namen.
„Man nennt mich Dragon.“ Der Dämon neigte den Kopf.
Ich nickte. „Also, Dragon, warum bist zu mir gekommen?“
Dragon sah mich forschend an. „Ich wollte die Frau
kennenlernen, die schon so lange Zeit über
Antiquerra schreibt und dabei selbst
vor Taherehs Schattenreich nicht Halt macht.“
Ich stutzte. „Passt dir das etwa nicht?“
Dragon ließ nicht erkennen, was er dachte. „Nun, bei der
letzten Versammlung der Wächter-Dämonen kam Unruhe auf. Es wird befürchtet,
dass du zu viele unserer Geheimnisse ausplauderst.“
Es stimmte, ich hatte schon einiges über das Schattenreich
geschrieben – vor allem in
Band 1 der Antiquerra-Saga. Ich blies die Backen auf
und überlegte, was ich ihm erwidern könnte. „Ich bin sicher …“, sagte ich dann,
„… dass ich nur einen winzigen Teil von dem, was das Schattenreich ausmacht, zu
Gesicht bekomme, und wenn die Königinnen sich an dem, was ich schreibe, stören
würden, dann hätten sie mich garantiert daran gehindert.“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Dämons. „Das ist
wohl wahr und im Grunde wissen meine Kollegen das …“ Er trank einen Schluck
Wasser. „Aber sie glauben, dass du uns Dämonen einseitig beurteilst.“
„Oh!“ Darum ging es also! Ich
überlegte, ob ich vielleicht einmal eine Geschichte aus Sicht der Dämonen
schreiben sollte ― wenn der letzte Band der Antiquerra-Saga fertig war. Ich
schaute Dragon an. „Diejenigen von euch, die ich kenne, habe ich durch die
Augen anderer gesehen, das ist wahr. Aber ich bin immer offen für neue
Sichtweisen. Magst du mir etwas über euch erzählen?“
Dragon neigte den Kopf. „Wenn es dich wirklich interessiert
…“ Als ich bejahte, fuhr er fort. „Nun, wie dir bekannt sein dürfte, dienen wir
Dämonen unserer Schattenkönigin Tahereh während die so viel bewunderten
Lichtkrieger …“ Er verzog abschätzig die Lippen, „der Strahlenkönigin Alyssa zu
Diensten stehen. Aber weißt du auch, wie wir alle einst geschaffen
wurden?“
„Nein“, erwiderte ich und schenkte ihm Wasser nach.
Dragon nickte dankend und sah mich an. „Dann will ich es dir
erzählen … Als die beiden Schwestern Tahereh und Alyssa vor Urzeiten das
Schattenreich in Besitz nahmen, da brachte jede ein Beutelchen Edelsteine mit,
um sich daraus ihr Gefolge zu schaffen. Die Strahlenkönigin Alyssa hatte dafür
Diamanten gesammelt und streng darauf geachtet, dass sie absolut rein und ohne
Einschlüsse waren. Sie wollte nämlich Gehilfen von vollkommener Gestalt haben,
die in dem Licht, das sie verbreitete, strahlten. Das klappte, aber ihre
Lichtkrieger tragen ― zumindest nach Meinung von uns Dämonen ― nun eben auch
die unbarmherzige Härte dieser Diamanten in sich und sie haben sich auch von Anfang
an als uns überlegen betrachtet.“
Darüber wollte ich nicht urteilen.
„Und aus welchem Edelstein wurdet ihr Dämonen geschaffen?“,
fragte ich.
Dragon lächelte. „Tahereh wusste, dass nichts auf den Welten
vollkommen ist. Sie hatte Granatsteine gesammelt, blutrote, schwarze und
orangefarbene. Ob sie perfekt waren oder nicht, spielte für sie keine Rolle,
denn ihr ging es nicht um das Aussehen. Wir sollten schließlich wie sie in der
Dunkelheit leben. Aber Vielfalt war ihr wichtig, und die hat sie bekommen. Es
gibt unzählige Dämonstämme, die sich durch ihre magischen Fähigkeiten voneinander
unterscheiden. Manche Dämonen sind von betörender Gestalt und andere würde ich
eher als interessant bezeichnen. Aber uns allen ist gemeinsam, dass wir gern dem
Instinkt folgen, im Gegensatz zu den Lichtkriegern, bei denen stets der
Verstand das letzte Wort hat.“
„Das ist sehr interessant, erzähl weiter!“
Dragon warf einen Blick durch die Balkontür nach draußen. „Gern,
aber erst nächstes Mal. Jetzt muss ich gehen, die Sonne geht gleich unter und
ich will zuhause sein, wenn meine Königin heimkehrt.“
Er stand auf und steckte sein Schwer in den Rückengurt. Ich
streckte ihm die Hand hin, um ihn zu verabschieden. „Gut, bis zum nächsten Mal, aber bitte erschrecke
mich dann nicht wieder.“
Dragon grinste und ergriff meine Hand. „Mal sehen …“
Einen Moment lang spürte ich seinen festen Händedruck, dann war der Dämon plötzlich verschwunden. Ich war wieder allein in meiner
Schreibstube. Eine Weile dachte ich noch über ihn nach, dann ging ich zu
meinem PC und schaltete ihn entschlossen aus. Schluss für heute!